Die Geschichte spielt an einem Tag im Sommer, das Café brummt, ich habe
eigentlich keine Zeit mich mit Gästen zu unterhalten, weil immer wieder
neue ankommen und Kaffee gekocht, Kuchen gebacken und Geschirr
abgeräumt werden muss. Es ist wunderbar, die Sonne scheint, es ist warm,
kein Lüftchen regt sich und ich träume davon, irgendwo am Nordpol
gemütlich zu erfrieren. Da winkt mich ein älteres Pärchen zu sich. Ich
reibe mir innerlich die Hände, denn ich hatte einen für mich sehr
wichtigen, gastronomischen Quantensprung in der Werbeabteilung
hingelegt. Die Speisekarte war ein wenig unscheinbar, daher fragte mich
echt jeder Gast nach dem Angebotskuchen, echt jeder. Und nach dem 199.
Mal an einem Tag, ist das nicht mal mehr halb so witzig, wie es ohnehin
niemals war. Hey, ich habe nichts dagegen, wenn Gäste sich höflich nach
unserem Kuchen erkundigen, es macht mir sogar Spaß davon zu erzählen,
das gehört ja irgendwie dazu. Aber wenn jeder dieselbe Frage stellt und
danach freudestrahlend darauf hinweist, wie sinnvoll es doch wäre ein
Schild aufzustellen, oder gar eine Speisekarte auszulegen, „Oh, da ist
sie ja, habe ich gar nicht gesehen, höhö.“, wünscht man sich eine Axt.
Aber gut, ich habe daraus gelernt und besagtes Schild aufgestellt. Ich
wählte zu diesem Zwecke eine große Tafel und schrieb “
Apfelstreuselkuchen im Angebot“ darauf, das Ganze in Schriftgröße 840 –
ich habe mir sogar die Mühe gemacht, einen niedlichen kleinen
Apfelkuchen daneben zu malen. Er sah zwar eher wie eine an Arthritis
leidende Kröte im Wechselfieber aus, aber der gute Wille zählt. Ich
dachte mir also: die Leute die mich nun heranwinken, werden mich nicht
nach dem heutigen Kuchen fragen und diese Aussicht bessert meine Laune
ungemein.
„Welchen Kuchen haben sie heute im Angebot, junger Mann?“
fragt mich der Herr ohne Umschweife. Ich schweige, lasse den Blick
sinnend über den Schmetterlingsflieder schweifen, dann über die große
Tafel, mit den naiven, aber riesigen Buchstaben, zurück über den
Schmetterlingsflieder und wieder zu meinem fragenden Gast. Ich atme tief
durch – eine imaginäre Träne der Enttäuschung, zwecks meines
Scheiterns, kullert über meine Wange.
„Apfelsteuselkuchen“ Gebe ich dann zur Antwort.
„Aha“, sagt seine Frau kritisch, „da ist doch bestimmt Zyanid drin, oder?“
Ich sehe sie verwirrt an… ich meine, was zum Teufel?
„Nein“, sage ich langsam und sehe mich nach einer versteckten Kamera
um, „im Kuchen ist kein Zyanid“ und füge noch trocken hinzu: „Wir sind
hier schließlich nicht im Führerbunker! Hehe.“
Schweigen. Die Beiden
sehen mich streng an, auch die Gäste am Nachbartisch gucken herüber,
kein Wunder, das böse F-Wort ist gefallen.
„Das war ein Witz“, sage ich verzweifelt und winke mit den Armen, „Hitler hatte sich doch mit dem Zeug umgebracht.“
Das Starren der Gäste wird noch stechender. „Danach hat er sich noch
erschossen“, füge ich hinzu und „verlangen sie das nun bitte nicht auch
noch vor mir.“, ich würde mir am liebsten die Zunge abbeißen, ihr Blick
könnte Milch sauer werden lassen
„Machen sie keine dummen Witze junger Mann, das Zeug verursacht Krebs!“, die Stimme der Frau ist kalt wie Eis.
Das verwirrt mich nun vollends. „Was verursacht Krebs?“, ist das hier ein seltsamer Traum?
„Zyanid!“ kreischt die Frau nun, fast hysterisch, „worüber reden wir denn?“
Ich kratze mich am Kopf, wie eine dieser Zeichentrickfiguren und
versuche meinem dämlichen Gesichtsausdruck, den ich garantiert gerade
zur Schau stelle, durch etwas Intelligenteres zu ersetzen.
Kennt
ihr das, wenn euch jemand eine extrem leichte Rechenaufgabe stellt, so
was wie 2+2 und ihr das Gefühl nicht loswerdet, dass dahinter irgendein
Trick stecken muss? Und dass ihr Angst habt die Aufgabe zu lösen, weil
die Lösung dann nicht vier, sondern sieben lautet und ihr euch zum
Volltrottel macht?
Und genau diese Angst habe ich gerade jetzt.
Diese Beiden da wissen mehr als ich und wollen mich drankriegen.
Vorsichtig Benjamin, mach jetzt ja keinen Fehler.
„Ich weiß nicht ob
ich mich mit dieser Vermutung zu weit aus dem Fenster lehne“, sage ich
dann stockend, „aber könnten sie vielleicht Acrylamid meinen?“
„Zyanid, Acrylamid, wo ist der Unterschied?“, fährt nun der Mann auf,
vermutlich um seine Frau in Schutz zu nehmen, vielleicht ist er komplett
senil oder einfach nur ein Idiot, wer weiß. „Von beidem wird man
krank.“
„Nun, Acrylamid kann Krebs verursachen, der Tod durch Zyanid
geht in der Regel ein wenig schneller.“, ich bewege mich auf dünnem
Eis, ich möchte nicht, dass einer der beiden einen Herzinfarkt erleidet
und hier im Café den Löffel abgibt, das wäre unhygienisch.
„Wie schnell?“, fragen die Beiden wie aus einem Mund.
„Etwa fünf Minuten? Was weiß ich.“, offenbar steckt kein Trick
behinter, die Gäste sind einfach nur plemplem. In diesem Augenblick sehe
ich, wie eine ganze Schar neuer Cafébesucher auf Rugeshus zu spazieren
und werde unruhig.
„Also enthält ihr Kuchen nun Zyanid, ja oder nein? Können oder wollen sie keine klare Antwort geben?“
Ich stehe kurz davor, speziell für diese beiden Gäste einen Kuchen mit Zyanid zu backen.
„Nein“, sage ich dann schnell, „Und wir backen so schonend, dass er auch wenig Acrylamid enthält, aber ein wenig ist drin.“
„Aha!“ ruft die Frau triumphierend, „Habe ich es mir doch gedacht.“
„Aber Acrylamid ist in jedem Gebäck enthalten“ erwidere ich gequält,
ich möchte dieses Gespräch beenden, es sind bereits drei neue Tische
besetzt, Arme winken nach mir, der Kaffee wird nicht reichen, das spüre
ich in den Knochen.
„Na denn“, sagt der Mann, vielleicht möchte er
die hitzige Debatte schlichten, „ich nehme ein Stück, wird mich schon
nicht umbringen. Du auch Liebling?“, seine Frau schüttelt nur den Kopf,
zornig über ihren Gatten, der ihr in den Rücken fällt.
„Welchen Kuchen hatten sie noch mal?“, fragt er dann und sieht mich unter seiner fetten Hornbrille heraus an.
„Apfelkuchen“, mein rechtes Augenlid hat begonnen, unkontrolliert zu zucken.
„Nein, mit Äpfeln drin?“, fragt der Mann ganz entsetzt.
„Nun“ gebe ich zurück, „die Gefahr, in einem Apfelkuchen Äpfel zu finden ist nicht zu unterschützen, würde ich meinen.“
„Nein“, sagt er erneut, nun heftiger „gegen Äpfel bin ich doch
allergisch“, fährt er auf, in einem Tonfall, als hätte ich ihn vergiften
wollen.
„Komm Frieda“, er nimmt sich seinen Wanderstock, „Wir gehen.“
Und kaum haben sie das Grundstück verlassen, beginnen wie auf ein Zeichen, alle Gäste zu klatschen und einer ruft gar „Zugabe!“ und alle müssen herzlich lachen. Wie geil ist das denn bitte?!
Und als wäre mit diesem Erlebnis eine göttliche Sühne beglichen worden, fragte mich den ganzen Sommer über kein Gast mehr nach dem Angebotskuchen und niemand wollte je wieder wissen, ob unser Essen wohl Zyanid enthalte.