„Ich weiß“, sagte die Prinzessin und stupste die Fliege an, ‚Du meinst eine
Hauptstadt‘, sagte sie fröhlich und kicherte, als die Fliege davonflog, ‚Was
ist mit einer Hauptstadt?‘
‚Die möchten wir haben‘
‚Wofür?‘, fuhr ihn Prinzessin Allesweiß an, die es gar nicht leiden konnte,
wenn Untertanen etwas forderten, ohne Gründe dafür zu nennen.
‚Für den Sonnenuntergang, den wir weiß färben möchten!‘, der Gnappmugg war nun
am Ende seines Geduldsfadens angelangt. Er hatte sich auf dieses Gespräch
vorbereitet, ihm wurde gesagt, dass die Prinzessin nicht sehr gescheit war.
Aber dieses hohle Gespräch traf seinen Verstand wie eine gusseiserne Bratpfanne.
Bevor er ausrasten und damit seinem Leben ein unschönes weißes Ende setzen
konnte, denn die Prinzessin pflegte aufmüpfige Untertanen in Chlorlauge zu
bleichen, bis nichts mehr von ihnen übrig war – bevor das geschehen konnte,
erbarmte sich ein Ratgeber der Prinzessin, es war der aktuelle Haushofmeister
Gutberg Quickelpfennig, und erklärte ihr alles drei Mal hintereinander. Nachdem
er alles nochmal mit kleinen Bildern illustriert und die wichtigsten Stellen
mittels einer kleinen, improvisierten Handpuppentheaters dargstellt hatte, ging
der Prinzessin eine winzige Flamme auf und sie klatschte in die Hände, freute
sich wie ein Walross im Planschbecken.
‚So soll es sein‘ und „Ich möchte dein dunkelweißes KIeid haben!“. Denn das
Kleid des Gnappmuggs war aus schwarzer Mitternachtsspinnenseide gewebt. ‚Aber‘,
setzte die Hochdurchlauchtigste einen drauf, die sogar ein Schachspiel ohne
Figuren und Gegner verlieren konnte, ‚der Sonnenuntergang muss bis übermorgen
weiß sein, ansonsten lasse ich dich bleichen! Und jetzt geh!“. Komischerweise
konnte sich die Prinzessin wirklich nichts merken, außer Hinrichtungstermine,
die gingen ihr nicht aus dem Kopf. Und ihr süßes, aber komplett irres Lachen
hallte noch viele Minuten lang in den hohen, ehrwürdigen Mauern von Schloss
Wickelstein.“
„Die ist ja gemein“, gab das Mädchen zu bedenken, „Ich wäre eine viel
bessere Prinzessin. Ich würde jeden Tag mit allen spielen und jeder würde
Kuchen bekommen!“
„Es gab mal eine Prinzessin, die hat gesagt, dass arme Menschen Kuchen essen sollen“,
warf Hagen in das Gespräch ein. „Aber dann hat sie Zahnschmerzen bekommen und
ist an Fusselistis gestorben.“
Das Mädchen sah ihn verwirrt an. „Was ist Fusselding?“, fragte sie schließlich.
„Das bekommt man von zu viel Kuchenessen. Hat etwas mit den Haaren zu tun.
Erkläre ich dir wann anders.
Wo waren wir stehen geblieben? Achja. Der arme, nun nackte Gnappmugg, er hatte
sein Kleid auf der Stelle ausziehen müssen, saß gewaltig in der Patsche. So
hatte er sich das nicht vorstellt. Um der Wahrheit die Ehre zu geben hatte er
sich vorher gar keinen Plan zurechtgelegt, Gnappmuggs sind keine
Vorhernachdenker, sie ziehen eine Sache durch und handeln immer als erstes, das
Denken rannte lautbrüllend und winkend irgendwo im Windschatten hinterher.
Kurz bevor Fürst Ecki sich seiner Verzweiflung hingeben wollte, fiel ihm der
Zauberer Manfred aus Nipmerow ein. ‚Na klar!‘, rief Ecki aus, ‚Der olle
Manfred!‘
Manfred war um die 50 und wollte sein ganzes Leben lang Balletttänzer
werden. Doch auf Rügen gab es kein Ballett und er konnte sich auch keinen rosa
Tüll leisten, er hatte nur vage Vorstellungen von dem Geschäft des Tanzens im
Allgemein, doch das meiste davon bestand aus rosa Tüll. Also wurde er in seiner
Verzweiflung Wirt und dachte sich, dass seine Lehrer Unrecht hatten, die immer
meinten, dass aus ihm nichts wird. ‚Ha!‘, brüllte er manchmal aus, wenn ihm all
das durch den Kopf ging, ‚Ich wurde Wirt!‘, doch seine Erfüllung war der Beruf
nicht, trotz des Brüllens – armer Kerl.
Und dann erfand er, in seinem Bestreben das beste Dunkelbier der Insel zu
brauen, ganz zufällig das beste Weißbier Rügens. Natürlich war das Zeug, das er
zusammenpanschte nicht sonderlich gut, schmeckte wie abgestandene Pisse mit
Rinnsteinwasser und einem Hauch Käsefüße, aber weil niemand sonst auf dem
Eiland Weißbier herstellte und es viel Alkohol enthielt, schenkte er enorme
Mengen von dem Zeug aus. Und aus diesem Grund nannte man ihn Zauberer. Bier ist
toll.“, Hagen nahm einen tiefen Zug von seinem eigenen Bier.
„Die Wetterfee Elise, die für den Farbton der Sonnenuntergänge
verantwortlich war, obwohl sie eigentlich lieber den Sonnenaufgang mochte und
daher schwere Depressionen hatte, die sie in Alkohol zu ertränken suchte,
liebte Bier. Die Gnappmuggs kannten Elise, sie hatten oft mit ihr gezecht –
Zechen ist ein altes deutsches Wort für Saufen oder Bergwerksgesellschaft, ich
meine in diesem Fall aber Saufen. Ihr fragt euch, warum alle in meiner
Geschichte Alkis sind? Also, Elise muss seit 4,6 Milliarden Jahren etwas
machen, wo sie keinen Bock drauf hat, alle Achtung wer da nicht zur Glucker
greift. Elise hat fast 3 Milliarden Jahre durchgehalten. Und die Gnappmuggs
sind einfach Loser, auch unter den Sagengestalten gibt es sie. Irgendwann finden
Loser heraus, dass sie Loser sind und fangen an zu saufen, das ist eine ganz
gewöhnliche Sache. Als würde man fragen, warum so viele Blumen blühen. Sie tun
es einfach früher oder später.“
Hagen verstummte kurz, er stand kurz vor dem Finale und musste Kräfte sammeln.
Sein Publikum lauschte ihm gebannt, sogar zwei weitere Polizisten hatten sich
dazu gesellt, froh ein geeignetes Mittel gefunden zu haben, um die Zeit
totzuschlagen.
„Ich könnte nun noch lange labern“, begann Hagen und rülpste wie ein Busfahrer
im Dienst.
„wie die Sache von Statten ging, aber das wäre das Sache unwürdig. Lieber kurz
und knackig und mit vollem Elan, das ist mein Motto!“
„Gummibärchensaft!“ kreischte das kleine Mädchen.
„Jedenfalls konnte der Gnappmugg ein Fass extrastarkes Weißbier von Manfred
bekommen – er gab ihm dafür einen Ballen rosafarbenen Tüll und der Wirt konnte
endlich seinem Traum nachjagen. Unter uns, er wurde bald der beste Balatttänzer
des Nordens –das er auch der einzige Balatttänzer des Nordens war, tut hier nichts
zur Sache. Er war gut. Was beweist, dass jeder das machen sollte, was er will,
man lebt nur einmal, Carpe Diem und so weiter und sofort.
Das Bier brachte der eifrige Gnappmugg Elise, die voller Dankbarkeit und
voller hochprozentigem Stoff die Sonnenuntergänge rot färbte. Dann, mit 675
Promille, ihrem neuen Rekord, besuchte sie ihre Schwester Thandora und log ihr
vor, dass der neue göttliche Plan für die farbliche Beschaffenheit von
Sonnenaufgängen rot sei. Dann schlief sie ein und Wetterfeen schlafen verdammt
lange, sie schnarcht heute noch. Was aus Thandora wurde, ist mir nicht bekannt.
Ich glaub sie ist tot, oder verreist.
Jedenfalls war nun guter Rat teuer, denn ein roter Sonnenuntergang war nicht
gerade das, was sich unser armer Gnappmugg vorgestellt hatte. Doch er ging
mutig zu Prinzessin Allesweiß und tischte ihr ne Wahnsinns Lüge auf. Das durch
neue, unerhörte Erkenntnisse der Wissenschaft, die prismatische Lichtbrechung
der Farbe Rot, konditionell abweichend… sich verdingst, auf irgendeinem unerklärlichen
Quantenniveau – so hat er es nicht ausgedrückt, aber irgendein ähnliches
Kauderwelsch, das niemand, schon gar nicht die von jeglichem Intellekt freie
Prinzessin Allesweißkapieren konnte – die Farbe Rot eigentlich nur ein röteres
Weiß, mit einem leichten Stich ins Rosafarbene ist. Kurz gesagt: Weiß ist
gleich Rot.“
Hagen räusperte sich, trank den letzten Schluck Bier, rieb sich die Augen,
kratzte sich am Bauch und sah jedem der Anwesenden ins Gesicht.
„Die Prinzessin war hingerissen und vermachte dem Volk der Gnappmuggs einen
Landstrich bei Kap Arkona, damit sie dort ihre Hauptstadt errichten konnten.
Das geschah und der Glanz dieser wunderschönen Stadt hätte auch heute noch die
Besucher Rügens geblendet, wenn der Ködepp, die Gnappmuggsche Währung, nicht
vollkommen zusammengebrochen und die Stadt daher in den Wirren der Geschichte
versunken wäre. Hätten sich die verantwortlichen Steuerberater etwas mehr Zeit,
als drei poplige Jahre nach der Stadtgründung, gelassen, um ihr durch
Alkoholsucht verursachtes, destruktives Werk zu vollbringen, wäre die Sache
auch nicht als der peinlichste Untergang einer Zivilisation, in die Annalen der
Geschichte eingegangen. Aber es kam leider so. Und weil sich die Gnappmuggs so
sehr dafür schämten, verschwanden sie auch vollständig und nahmen, voller Groll
und Boshaftigkeit, das Rezept für die leckeren Quarktosteln mit. Damit haben
sie uns echt nochmal in den Arsch gekniffen, die miesen kleinen Dreckssäcke.“
Und nach einer erneuten Pause fügte Hagen, schüchtern und mit sehr tiefer
Stimme: „Ende“
Die Menge johlte und das Mädchen brüllte: „Noch eine! Noch eine!“.
Tja, so waren die Geschichten von Hagen, jetzt wisst ihr’s. Und da ihr das nun wisst, können wir weitermachen.