Friedrich Lüttgrien – Schachmatt in zwei Zügen (Teil 2)

Herr Lüttgrien sah sich im Salon um und betrachtete versonnen die zerbrochene Fensterscheibe und mein Provisorium, dass sie wieder verschließen sollte. „Schick“, sagte er freundlich, „Karl wäre stolz darauf, wenn er davon wüsste“, er spielte mit dieser Bemerkung auf mein Provisorium an, dass aus drei Schichten Klebeband und drei Dutzend Flyern des berühmten Erdbeerhofes bestand. In Herrn Lüttgriens Stimme schwang ein Hauch von Sarkasmus mit, aber sein Lächeln war über jeden Zweifel erhaben. „Ich musste schnell eine Lösung finden und die Flyer waren da. Hast du eine bessere Idee?“, mein Gast räusperte sich, „In der Tat, die habe ich. Aber deine Lösung ist bestimmt mindestens genauso gut. Du hattest ein Problem und hast es eiskalt gelöst, das ist schon mal eine Menge wert“, er betrachtete wieder mein Erdbeerflyerprovisorium und lächelte hintergründig. Mir war unbehaglich zumute, daher wechselte ich schnell das Thema. „Wir sollten uns einen Kaffee machen, warte hier, ich bin gleich zurück“, sagte ich schnell und drehte mich um. Doch so leicht konnte man Lüttgrien nicht entkommen. Wie ich später noch feststellen sollte, war Lüttgrien einfach unfähig darin, sich bedienen zu lassen. Er musste immer mitanpacken, ob man wollte oder nicht. Und wenn er keinen Handschlag rühren durfte, so stand er doch neben einem, gab gute Tipps und war immer in Habachtstellung. Fleiß, Aufmerksamkeit und hingebungsvoller Tatendrang sind beileibe nicht die schlechtesten Charaktereigenschaften. Aber man fühlt sich zwangläufig fauler, als man wirklich ist, wenn ein Ausbund an Emsigkeit neben einem steht und nur darauf wartet richtig loszulegen. Dabei war Lüttgrien nie aufdringlich, aggressiv, oder zynisch, wenn ich etwas nicht auf seine Weise erledigte. Er stellte sein Licht gerne unter den Scheffel, was alles noch schlimmer machte.
Ich kochte also Kaffee und setzte Teewasser auf und dankte dabei Gott, dass wir keinen Stromausfall hatten – aber was nicht ist, kann uns die Zukunft schließlich noch bescheren. „Ich würde dir auch etwas zu essen anbieten“, sagte ich missmutig, „aber wir haben kaum noch etwas, nur steinhartes Brot. Ich weiß echt nicht, wie lange ich das noch durchstehen werde.“
„Steinhartes Brot! Das klingt ja himmlisch!“, mein seltsamer Gast strahlte, „Kaffee und hartes Brot, sind mein Leben. Mehr brauche ich nicht, um glücklich zu sein! Dies sind die Zutaten, die mich Nächte lang durchzuarbeiten lassen! Ach ja und natürlich Helmut Kohl“, ich sah ihn scharf an, „Was zur Hölle hat das zu bedeuten?“, ein Irrer, ich wusste es gleich. Und ich habe diesen Kerl in meine Küche gelassen. Er wird mich umbringen, die Frage ist nur, wann und auf welche Weise! Ich wusste es doch gleich, seine Stimme hat ihn verraten. Ich schnappte mir die erst beste Waffe, die ich erreichen konnte, es war eine Brötchenzange. „Nein, nein!“, beeilte sich Lüttgrien zu sagen, „Meine Schildkröte heißt Helmut Kohl – sie ist schon recht alt und die Oma meiner Nachbarin hatte ihren ganz eigenen Humor“, fügte er ernst hinzu. „Die Oma… deiner Nachbarin…“, wiederholte ich hilflos, das Gespräch überforderte mich zusehends. „Ja, sie sagte mir, dass die Schildkröte einige wichtige Eigenschaften mit Kohl teilen würde. Und als sie dann starb, vererbte sie mir Helmut Kohl und er fühlt sich recht wohl bei mir. Und Helmut Kohl ist in meiner Firma sehr beliebt!“
„Was arbeitest du denn, wenn ich fragen darf?“, ich löffelte gemahlenen Kaffee in den Beutel – vier gehäufte Löffel. In Rugeshus trinkt man starken Kaffee, falls man Kaffee trinkt, was nicht auf mich zutrifft. „Ich bin Informatiker“, sagte Lüttgrien beiläufig und zog eine Schublade auf, „Hast du dir eigentlich schon mal überlegt, die kleinen Gabeln auf die Rechte Seite zu packen und die Messer auf die Linke?“, ich sah ihn verwirrt an. „Nein“, sagte ich langsam, „Warum hätte ich denn darüber nachdenken sollen?“. „Nur so“ erwiderte Lüttgrien fröhlich und wandte seine Aufmerksamkeit den Tassen zu. „Ähm“, ich versuchte mich zu sammeln, „Ähm. Informatiker? Was machst du da genau?“
„Ich optimiere Programme“, antwortete er, schien aber mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein. „Ich mag Möpse, du auch?“, ich verschüttete heißen Kaffee und verbrühte mir die Hand, „Was?!“, keuchte ich. „Möpse, die kleinen tonnenförmigen Hunde“, Lüttgrien hielt triumphierend eine Tasse hoch – meine Mutter war ein großer Fan von Loriot, musst du wissen. Noch ehe ich etwas unternehmen konnte, hatte das Pflichtbewusstsein in Lüttgrien die dämonische Oberhand ergriffen. Er schnappte sich ein Tuch und begann den Kaffee aufzuwischen. „Wo ist der Besen? Der Boden muss dringend gefegt werden! Überlass das alles mir, mach dir schon mal deinen Tee, ich erledige das schnell!“, sprachs und hatte auch schon Handfeger und Müllschippe gefunden, die ich bereits seit gestern vermisste. Ich klappte meinen Mund zu und beschloss, mich zu fügen, noch zu angeriffen, von jenem denkwürdigen Dialog über Exbundeskanzler und Möpse. Eigentlich trinke ich nur grünen Tee, Sensha, am liebsten den zweiten Aufguss – doch begnügte ich mich nun mit einem Earl Grey im Beutel. Ich füllte die Mopstasse mit Kaffee. „Möchtest du Milch haben?“, fragte ich geistesabwesend. „Niemals, ich trinke meinen Kaffee immer so schwarz, wie meine Seele“, ich nickte, „Und zwei Scheiben hartes Brot? Mit Käse? Die letzte Wurst ist gestern grün geworden geworden, aber wir hätten noch etwas trockenen Schinken und eine schrumpelige Paprika“, „Brot hört sich super an, mehr brauche ich nicht“, Lüttgrien stellte die Putzwerkzeuge hinter die Tür und wusch die Hände. „Ich werde mich mal um das Feuer kümmern“, sagte er dann und schlenderte in den Salon. „Ähm…“, begann ich, überlegte es mir dann aber anders, sägte zwei Scheiben Brot vom Laib, der ungefähr den Härtegrat eines Stuhlbeins hatte, legte sie auf einen Teller, schnappte mir die beiden Tassen und folgte Herrn Lüttgrien.

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