Jemand hat den Ofen nicht richtig geschlossen. Rote Flammen schlagen
aus der Tür und greifen nach allem, was sie fressen können. Die Gardinen
brennen bereits lichterloh, genauso die Kommode, mit den hässlichen
Holztannen, die jedes Aussortieren bisher überstanden haben. Ich renne
nach draußen – zum Glück halte ich ein Telefon in der Hand und wähle mit
zitternden Fingern den Notruf der Feuerwehr. Doch irgendwie steht der
Löschzug bereits auf dem Grundstück. Eine dürre Feuerwehrfrau (Sagt man
das so? Vermutlich, denn „ein weiblicher Feuerwehrmann“ klingt doch
völlig bekloppt), die verdächtige Ähnlichkeit mit einer mexikanischen
Mutter, einer Uno spielenden Großfamilie aufwies, sagte mir, dass es
nicht am Öl liege, die Heizung sei einfach kaputt und alle Rohe im Haus
würden platzen – ihr kleiner Sohn beginnt laut zu heulen. Dann höre ich
jemand johlen und drehe mich entgeistert um. Friedrich tanzt auf dem
Dach von Rugeshus herum, jongliert mit zwei Hunden und ruft dabei immer
zu: „Sie lieben mich! Sie lieben mich alle!“
Dann beginnen alle
Feuerwehrmänner, der 24-Stunden-Schlüsseldiensttyp und meine
Englischlehrerin aus der Siebten, schallend zu lachen und als ich an mir
herabsehe, stelle ich mit bodenlosem Entsetzen fest, dass ich keine
Hosen trage. Die wahnsinnige Lachorgie nimmt an Intensität immer mehr
zu. Mein Vater zertrümmert fluchend alle Fenster im Erdgeschoss und
Friedrich singt „The yellow submarine“. Alles verschwimmt vor meinen
Augen und ich schreie!
Mein Wecker klingelte – nur dass er kein Wecker ist, sondern ein Smartphone war und nicht klingelte, sondern eben jenen Hit der Beatles spielte, den zuvor noch Friedrich, auf dem Dach trällerte. Ich blinzelte, versuchte mich zu orientieren. Offenbar war es nur ein Albtraum gewesen, ich sank in mein Kissen zurück und atmete durch – „Daher war der Text auch im Präsenz geschrieben“, sagte ich laut, als wollte ich dem leeren Zimmer einen komplizierten Sachverhalt erklären, „obwohl doch die eigentliche Geschichte im Präteritum, oder Perfekt geschrieben war, irgendeiner verschrobenen Vergangenheitsform! Ich hätte das gleich merken müssen, aber ich war in Deutsch nie gut gewesen. Ha!“
Friedrich hatte am Abend zuvor gemeint, er wolle um
6 Uhr aufstehen. „Was?“, fuhr ich ihn an, „Bist du behämmert? Wir haben
nur einen Frühstücksgast. Warum sollen wir dann um 6 aufstehen?“
Friedrich grinste tiefgründig, als wollte er mir zu verstehen geben,
dass man gar nicht früh genug aufstehen könne, um im Dienste der Pension
tätig zu werden. Wir einigten uns auf 6:30 Uhr, aber nur, weil ich zu
müde war, um länger zu diskutieren. Daran erinnerte ich mich nun und war
sauer auf mich selbst.
Im Zimmer war es eiskalt, trotz zweier
Decken und des Heizlüfters, den ich gestern, einige Stunden vor dem
Schlafengehen, noch laufen ließ. Als ich mich aus dem Bett gekämpft
hatte und meine erlauchten Füße auf den Boden setzte, froren sie
augenblicklich fest – naja, fast. Ich begnügte mich mit einer
Katzenwäsche, denn Duschen kam nun wirklich nicht in Frage. Ich
schlüpfte in meine Schuhe und wankte in die Küche, mehr ein
Morgenzombie, als irgendetwas sonst.
„Guten Morgen!“, begrüßte mich
das immer glückliche Heinzelmännchen vom Dienst. Friedrich wirkte nicht
nur ausgeschlafen, ich fürchte, er war es sogar. Ich überlegte kurz, ihn
mit einer Tüte tiefgefrorener Brötchen zu erschlagen und einfach wieder
ins Bett zu schlurfen – ich würde mir schon eine Ausrede dafür
ausdenken, wenn die Kripo mich danach fragen würde. Der Gedanke erschien
verlockend, doch fehlte mir die Energie dafür.
„Ha! Ist das nicht ein schöner Tag? Ich mache dann mal Kaffee für uns“, sprachs und flitzte davon.
„Ich trinke Tee… Friedrich? Ach, egal“.
Die Dame aus Zimmer 6 war bereits wach, hatte gepackt, einen
Spaziergang mit ihrem Hund gemacht und angekündigt, nach dem Frühstück
abzureisen. Die Kälte sei einfach unerträglich – manche Leute sind
nichts mehr gewöhnt, ging es mir durch den Kopf, während ich mit
steifgefrorenen Fingern, den Reisverschluss meiner Jacke schließen
wollte und kläglich scheiterte. Friedrich kam angeschlendert,
unergründlich lächelnd und eine riesige Tasse Kaffee in den Händen.
„Ich habe den Heizlüfter nur vier Stunden laufen lassen. Aber wer auf
Rügen arbeitet, muss schließlich was aushalten können!“, sagte ich
stolz. Ich brauchte etwas Trost und Anerkennung. Später würde Friedrich
dann, ganz nebenbei, der Dame aus Zimmer 6 davon erzählen, wie ich,
einem Polarforscher gleich, die Nacht verbracht hatte und grenzenlose
Bewunderung und Heldenverehrung, würde mir zuteilwerden.
„Heizlüfter? Ich habe keinen Heizlüfter aufgestellt“, sagte Friedrich glücklich.
„Keinen… warum nicht?“, ich weiß auch nicht, warum ich das eigentlich fragte.
„Ich heize auch zu Hause nie. Solange meine Zahnpasta nicht gefriert
ist alles ok. Und ich habe Kaffee“, er hielt die Tasse hoch. „Ich komme
klar. Mach dir nicht so viele Gedanken.“
„Hast du mitbekommen“,
fügte er nach einem Schluck heißen Bohnengetränks hinzu, „dass die Frau
aus Zimmer 6, bereits einen langen Spaziergang gemacht hat? In der
Morgenkälte. Man, da kann selbst ich mir eine Scheibe von abschneiden“,
er lachte.
Ich guckte erst Friedrich an, dann die Decke, dann
wanderte mein Blick, langsam zum Fenster und fiel auf zwei Feldspatzen,
die sich auf dem Blumenkasten balgten.
„Ich sollte mich nützlich machen“, murmelte ich resigniert.
Frühstück zu machen ist eigentlich kinderleicht, wenn man es schon so
oft getan hat. Aber an dem Morgen fiel es mir unendlich schwer –
unausgeschlafen, schlecht gelaunt, hungrig und seit neustem, durch das
Wissen, ein totales Weichbrötchen zu, schwer erniedrigt. Zudem fehlte es
an Käse und Radieschen. Aber ich gab mein Bestes und die Dame aus
Zimmer 6 war zufrieden. Sie kündigte sogar eine mögliche Wiederkehr an,
wenn das Heizproblem behoben wäre – bis dahin würde sie in einem Hotel
nächtigen, wo eine Nacht so teuer war, wie bei uns der ganze Aufenthalt –
aber man könne dort warm duschen. Ich hätte ohne Zögern mit ihr
getauscht, sagte das aber nicht. Doch die Vorstellung einer heißen
Dusche trieb mir Tränen in die Augen und ich musste mich abwenden.
Etwas später kam noch Zimmer 5 vorbei, zwei Damen, wobei eine die
Mutter und die andere die Tochter war, beide eisenharte Rugeshusfans.
Solche Gäste baden im Bach, wenn es sein muss und braten selbsterwürgte
Wölfe, über morgendlichen Lagerfeuern, wenn uns die Bötchen ausgegangen
sein sollten. Bei solchen Titanen erwartet man Sprüche wie „Das ist kein
Wahnsinn, das ist Rugeshus!“, oder so. Die 300 Elitesoldaten, die
Sparta einst verteidigt haben, waren absolute Clowns dagegen.
Nach
einer langen und herzlichen Begrüßung, bei der ich mich nochmal für
einen verschwundenen Mantel entschuldigte und dafür, dass das
Glühwürmchenfest in diesem Jahr ausgefallen war, packte ich meine sieben
Sachen (es waren sogar nur fünf) und Friedrich fuhr mich zum Sagarder
Bahnhof, wo ich den nächsten Zug nach Stralsund nahm. Dieses Mal nicht
ganz so müde, aber dafür durstig. Ich hatte mir, in weiser Voraussicht,
eine Flasche Cola mitgenommen, mit zero Zucker drin. Ich wartete eine
Stunde, dann nahm ich sie aus meiner Tasche und stellte mit einer
gewissen, routinierten Bestürzung fest, dass sie bereits geöffnet und
sämtlicher Kohlensäure beraubt war. Zudem setzte sich eine ältere Frau
hinter mich und nieste mir mehrmals in den Rücken. Spätestens jetzt
wusste ich, dass das eine lange Fahrt werden würde.