Katastrophal schönes Silvester! (Kapitel 4)(Erzählung)

Meine Zukunftsaussichten waren nicht gerade rosig, als wir in dem roten Peugeot über die Landstraßen bretterten. Friedrich sagte nichts, ich tat es ihm gleich. Wir waren beide übernächtigt und aus unterschiedlichen Gründen genervt, nur dass man das Friedrich natürlich nicht anmerkte.
„Ich finde es cool, dass du hier bist“, hob Friedrich an, „du hättest gleich mit nach Rügen fahren sollen. Wir werden hier so verdammt viel Spaß haben!“, er warf mir einen Blick zu und lachte.
„Weißt du, was mir wirklich Angst macht?“, fragte ich nach einer Weile. „Dass du das vermutlich ernst meinst“. Friedrich grunzte fröhlich und trat das Gaspedal durch.
Auch auf die Gefahr hin, dass ich euch enttäuschen werde, aber nein, wir hatten keinen tödlichen Unfall, trotz Friedrichs Null-Schlaf-Fahrstil. Ich machte mir dennoch eine gedankliche Notiz, nie wieder in ein Gefährt zu steigen, dessen Fahrer die Nacht zuvor, in einem eiskalten Auto zugebracht hat.
Endlich kam Rugeshus in Sicht. Ich rannte zur Tür, steckte den Schlüssel ins Schloss, schickte ein Stoßgebet gen Himmel und… die Tür öffnete sich. Ich blinzelte ungläubig, konnte es nicht glauben und zog sie daher wieder zu, um sie danach erneut aufzuschließen.
„Wenn sie beim zweiten Mal nicht aufgegangen wäre, hätte ich dich getötet“, sagte Friedrich sachlich und strahlte mich mit seinen blutunterlaufenden Augen an.
Nun überschlugen sich die Ereignisse und ich gebe mein Bestes, sie so konfus und chaotisch wiederzugeben, wie es nur möglich ist. Ich prüfte die verdammte Heizung, Friedrich zeigte mir, wo und wann und wie der Brenner gequalmt hat, denn er hatte gequalmt, habe ich das noch nicht erwähnt? Ich fand heraus, dass das olle Ding trocken gelaufen war, Ursache unbekannt. Wir stürmten nach draußen, schlossen uns dieses Mal aber nicht aus. Ich überprüfte den Öltank, aha, der Ölstand war offenbar nicht zu niedrig, aber vermutlich lag es dennoch am Öl, besser gesagt, ich hoffte, dass es „nur“ am Öl lag. Wir beschlossen also den schwarzen Dinosauriertreibstoff zu bestellen und ein irres Lächeln huschte über mein leidgeplagtes Gesicht, als mir siedend heiß einfiel, welchen Tag wir hatten: Samstag. Wochenende. Samstag vor Silvester. „Seegurke!“, stieß ich aus (Ich sagte etwas anderes, aber das schreibe ich hier nicht rein, denkt euch was richtig Garstiges aus, vielleicht mit einem V vorne, oder einem A.)
„Friedrich“, fragte ich nach kurzem Zögern, „es ist Samstag, meinst du die liefern uns trotzdem Öl?“
„Versuchen!“, antwortete Friedrich lächelnd. „Du machst dir zu viele Gedanken“ – Mein Gott, der schon wieder – aber welche Antwort hatte ich erwartet?
Ich rannte ins Büro und klingelte bei unserem Öl-Lieferanten durch, natürlich ging niemand ran. Ich durchforste das Internet, wählte jede verdammte Nummer, die mir unter die Finger kam. Ich rief einfach jeden an, sogar eine Tankstelle und eine Gärtnerei, letztere weil ich mich in der Zeile geirrt hatte. Doch alle schienen bereits das Wochenende zu genießen und eine Notfallhotline gab es nicht – bzw. es gab eine, aber auch da ging keiner ran. Vermutlich gibt eine Steigerung von einem Notfall, schoss es mir durch den Kopf. Und an einem Samstag kein Öl zu haben und kurz vor einem totalen Nervenzusammenbruch zu stehen, ist eine solche Steigerung. Ich war mir ganz sicher, dass es eine passende Hotline für solche Notfallsteigerungsfälle gegeben hätte und das auch dort niemand rangegangen wäre. „Na gut“, ich seufzte, „dann rufe ich eben erst mal alle Gäste an und sage ihnen, dass sie erst morgen kommen sollen und gar nicht“
Gesagt getan, leider gingen drei von fünf Gästen nicht ans Telefon, einer hatte keine Telefonnummer auf das Buchungsformular geschrieben und eine Dame las meine Mail erst, als sie bereits 700 Kilometer gefahren war. Sie würde nachher, vollkommen entnervt (wegen der ätzenden Autofahrt) vor unserer Tür stehen. Sie würde bei uns klingeln, einen kleinen Hund im Gepäck, der ständig Gefahr lief zu Eis zu erstarren und daher gar nicht für unsere Notlagensteigerung gemacht war. Und wir würden sie reinlassen und alles würde noch ein wenig lustiger werden. Ich erschauerte vor ehrfürchtigem Entsetzen. Dann vereinbarte ich mit der Dame, dass sie nach einer Nacht abreisen dürfte, gratis und ohne Kosten, wenn die Kälte nicht zu ertragen sei. Ich legte auf und es meldete sich unvermittelt noch Zimmer 7. Eine sehr nette Frau, die mir mitteilte, dass sie meine just Mail gelesen habe, als sie und ihr Mann bereits unterwegs waren. Ihr mache das Fehlen von Heizung und Warmwasser nichts aus, sie sei hart im Nehmen – vermutlich eine Nachfahrin von Conan, oder so, denke ich, sage aber nichts. Leider geht ihrem Mann diese Kälteresistenz ab und sie stornierte daher, schweren Herzens.
„Irgendwie sagen alle Gäste, dass ihnen die Kälte egal ist“, sagte ich zu Friedrich, „die sind echt verdammt krass drauf, bis auf der Mann, der verdammt krassen Frau, die gerade anrief“, „ich wäre nicht so verdammt krass“, fügte ich hinzu.
„Rugeshus ist nun mal Rugeshus“, er grinst, „wer hier ein Zimmer bucht, erwartet einfach, dass irgendwas schief läuft, das ist Teil des Gesamterlebnisses“, ich dachte darüber nach und wusste nicht, ob mich das nun aufheitern oder in tiefe Depressionen stürzen sollte. Dann beschloss ich, dass wir einkaufen gehen sollten. Wir fuhren nach Sassnitz und versorgten uns, bei einem Baumarkt mit Heizlüftern und danach noch mit einigen Lebensmitteln.
Die Dame aus Zimmer 6 kam pünktlich an und wurde mit einem Heizlüfter, heißem Wasser und vielen guten Ratschlägen in ihr Zimmer bugsiert. Der Hund zitterte unheilverkündend, schloss aber dennoch mit Friedrich Freundschaft, ehe ich Hopp und Holla sagen konnte. Er gab dann den ganzen restlichen Tag mit seinem tierischen Sozialtalent an, Friedrich meine ich, nicht der Hund.

Ich schaffte es im Anschluss tatsächlich, zwei Öl-Lieferanten zu erwischen. Einer meinte, dass er kein Öl liefern würde, nicht heute und schon gar nicht vor 2020. Der andere war eine Frau, die mir das mitteilte, was ich bereits wusste, dass es nämlich Wochenende sei und ich solle es doch bitte am Montag versuchen, aber nicht bei ihr, sondern anderswo und mit keinen zu großen Erwartungen, denn aktuell machten wohl alle Öllieferanten Urlaub. Derweil zeigte der Wetterdienst, dass es die nächsten Tage üblen Frost geben würde, bis zu -3 C°! Schlimme Nachrichten, kannte ich doch das Schreckensszenario: Rugeshus kühlt bis unter den Gefrierpunkt aus, die Rohre gefrieren, platzen und Finis Rugesdomum.
Wenigstens waren mittlerweile alle Gäste informiert und bis auf die eine Stornierung, wollten alle anderen Silvester bei uns verbringen, selbst wenn wir die Heizung nicht in Gang bekommen sollten. Denn, ob dem Brenner tatsächlich das Öl fehlte, war schließlich nicht klar und selbst wenn wir Öl bekommen würden, könnten wir den Brenner ohne Techniker nicht wieder in Betrieb nehmen. Die Rechnung hatte einfach zu viele Unbekannte Werte. Und trotzdem wollten die Gäste nicht stornieren – man, das rührte mich echt. Wenn ihr mitlest: ihr wart großartig Leute!
Ich entschied mich, die Nacht auf Rügen zu verbringen. Das gab uns Zeit, alles Mögliche vorzubereiten, obwohl ich ehrlich gestehen muss, dass den Großteil Friedrich erledigte, ich war wegen meines Zahns und der ganzen Hiobsbotschaften, Ungereimtheiten und Zukunftsängste angeschlagen, von den 30 Stunden Schlafentzug gar nicht zu reden.
Den ersten Abend saßen wir mit der Dame aus Zimmer 6 zusammen und tranken Glühwein, Wein und Bier, dazu gab es Hühnersuppe und im Ofen brannte ein lustiges Feuer – die Temperatur im Salon (so heißt der Frühstücksraum offiziell), kletterte von schlotterkalten 10 Grad, auf nicht ganz so bibberige 14 Grad – so ließ es sich, mit zwei Pullovern gerade so aushalten. Um 22:30 Uhr torkelte ich in mein eigenes Zimmer, die 3 und fiel sofort in einen bleiernen Schlaf der Erschöpfung. Ach ja, wenn ihr wissen möchtet, wie es ist, in Rugeshus, im Winter, ohne Warmwasser zu duschen – nun, so muss sich Leonardo Dicaprio gefühlt haben, als er an seiner Holzplanke hing und Wasser trat – nur im Stehen natürlich, mit weniger Kate und mehr Duschgel.

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