Draußen tobt ein Sturm, der mit seinen eiskalten Knochenfingern an den Fensterläden rüttelt. Regen trommelt auf das Dach und wird von starken Böen gegen die Haustür geschlagen, die in ihren Scharnieren knarrt. Du sitzt am Fenster der kleinen Hütte und beobachtest die Tannen, unter einem bleigrauen Himmel, wie düstere Generäle sehen sie aus, während einer aussichtslosen Schlacht. Sie schütteln sich angewidert, schwanken heftig hin und her und scheinen einen unkontrollierten Bauchtanz zu vollführen, doch immer, wenn sie straucheln, streckt sich ihnen ein nadeliger Arm eines Nachbarbaums entgegen und verhindert einen Sturz.
Hier oben, an der Wolfskuppe erzählt man sich, dass die Unwetter durch den ewigen Streit der Himmelsriesen verursacht werden. Jede Himmelsrichtung hat ihren eigenen Riesen und alle sind sie Brüder und alle streiten sie miteinander, wer der stärkste von ihnen ist.
Deine Augen wandern langsam und ehrfurchtsvoll zur filigranen Linie des Horizonts, der im wilden Wolkenringen fast unsichtbar geworden ist. Ein vergessenes Herbstblatt wird vom Boden aufgewirbelt und du verfolgst seine Flugbahn. Als es von den Himmelsriesen bemerkt wird, wirbelt es laut jauchzend herum, mal nach Osten, mal nach Westen, kreuz und quer, hoch, runter und mit einem waghalsigen Schwupp, fort über die kahlen Arme einer Linde.
Du holst dir einen heißen Kakao vom Herd und die Tasse wärmt angenehm deine Hände. Dazu gibt es ein selbstgebackenes Milchbrötchen von heute früh, mit ganz dick Himbeermarmelade darauf. Du streckst deine Beine weit von dir, wackelst mit den Füßen, die in weichen Filzpantoffeln, wunderbar verpackt sind und fühlst dich zurecht wie ein König, mit eigenem Schloss und ausgeglichenem Konto. Du hast am Tag vorher eingekauft und weißt, dass es gerne noch bis übermorgen und Donnerstag stürmen darf – was kümmert dich schon der Regen und die Kälte? Das sind Probleme anderer Leute – du nimmst einen großen Schluck Kakao, seufzt wohlig, gedenkst all jener, die gerade keinen Urlaub haben, kicherst schadenfroh in die hinein und nimmst noch einen Schluck.
Da packt den Ostwind das Übel und greift mit Donnerfaust die alte Birke am Kragen, würgt sie und reißt ihr schließlich, ohne Erbarmen einen großen Ast ab. Schnaubend schwingt der windige Wüterich, polternd und fürchterlich seine Birkenkeule und schmettert sie auf den Boden. Doch ehe dir mulmig werden kann, knackt das Feuer im Herd, als möchte es dir Mut machen. Und als die warmroten Flammenschatten, sich verneigen und auf den Wänden zu tanzen beginnen, ist jeder Schrecken vergessen.
Und als du ins Feuer blickst, musst du unvermittelt an die Mohnblumen im Hochsommer denken und ein uralter Zauber beginnt zu wirken, der dich in der Zeit zurückreisen lässt.
Gerade siehst du die bunten Kronen der Bäume an dir vorüberziehen, riechst den herzhaften, satten Duft von feuchter Erde und Pilzen, dicken rotorangegelben Äpfeln, saftigen Birnen, fühlst die schmutzigraue Schale der ersten Kartoffeln und hörst die Vögel ein Abschiedslied pfeifen, für alle, die Deutschland nun verlassen und an wärmeren Orten Winterurlaub machen werden. Du hast das seltsam schwermütige Gefühl im Bauch, das der Herbst mit sich bringt und freust dich dennoch hier zu sein. Denn die Natur spielt ein beeindruckendes Requiem, hier in St. Andreasberg.
Und schon verschwimmt alles und der Sommer ist zurück, mit seinen grellbunten Kleidern, der Musik von Abermilliarden von Grillen und glühenden Sonnenuntergängen, die die Stamme der Fichten in farbigen Brand setzen. Du erinnerst dich an laue Nächte, vor der Hütte, gemeinsame Picknicks, die lustigen Spielabende auf den gemütlichen Holzbänken und endlose Gespräche, mit deinen Freunden. Du siehst die saftigen Wiesen und hast einen Geschmack von Walderdbeeren im Mund. Du spürst die Tropfen eines aufziehenden Sommergewitters, streckst deine Arme in die Luft, tanzt wild umher und lachst vor Wonne, als du bis auf die Haut durchnässt wirst.
Und dann ist der Frühling da und du siehst die vielen Kräuter, die in Windeseile wachsen und die Bäume, die aus dem Winterschlaf erwachen. Du erinnerst dich an das unbeschreibliche Gefühl, abends zu merken, dass es wieder länger hell ist und spürst die riesige, gigantische Freude, die wie ein Tsunami, über die dämmrige Welt jagt, unter sich begräbt und glühend vor Tatendrank zurücklässt.
Du findest dich in deiner kleinen Hütte wieder, draußen wütet noch immer der Sturm. Du legst dich in dein Bett und ein wohliger Schauer breitet sich in dir aus – von oben in den Haarwurzeln angefangen, bis ganz nach unten zu deinen Zehen, als du langsam in den Schlaf gleitest.
Du freust dich bereits auf den morgigen Tag, denn eines steht jetzt schon fest: er wird zauberhaft sein.