Katastrophal schönes Silvester! (Kapitel 5)(Erzählung)

Jemand hat den Ofen nicht richtig geschlossen. Rote Flammen schlagen aus der Tür und greifen nach allem, was sie fressen können. Die Gardinen brennen bereits lichterloh, genauso die Kommode, mit den hässlichen Holztannen, die jedes Aussortieren bisher überstanden haben. Ich renne nach draußen – zum Glück halte ich ein Telefon in der Hand und wähle mit zitternden Fingern den Notruf der Feuerwehr. Doch irgendwie steht der Löschzug bereits auf dem Grundstück. Eine dürre Feuerwehrfrau (Sagt man das so? Vermutlich, denn „ein weiblicher Feuerwehrmann“ klingt doch völlig bekloppt), die verdächtige Ähnlichkeit mit einer mexikanischen Mutter, einer Uno spielenden Großfamilie aufwies, sagte mir, dass es nicht am Öl liege, die Heizung sei einfach kaputt und alle Rohe im Haus würden platzen – ihr kleiner Sohn beginnt laut zu heulen. Dann höre ich jemand johlen und drehe mich entgeistert um. Friedrich tanzt auf dem Dach von Rugeshus herum, jongliert mit zwei Hunden und ruft dabei immer zu: „Sie lieben mich! Sie lieben mich alle!“
Dann beginnen alle Feuerwehrmänner, der 24-Stunden-Schlüsseldiensttyp und meine Englischlehrerin aus der Siebten, schallend zu lachen und als ich an mir herabsehe, stelle ich mit bodenlosem Entsetzen fest, dass ich keine Hosen trage. Die wahnsinnige Lachorgie nimmt an Intensität immer mehr zu. Mein Vater zertrümmert fluchend alle Fenster im Erdgeschoss und Friedrich singt „The yellow submarine“. Alles verschwimmt vor meinen Augen und ich schreie!

Mein Wecker klingelte – nur dass er kein Wecker ist, sondern ein Smartphone war und nicht klingelte, sondern eben jenen Hit der Beatles spielte, den zuvor noch Friedrich, auf dem Dach trällerte. Ich blinzelte, versuchte mich zu orientieren. Offenbar war es nur ein Albtraum gewesen, ich sank in mein Kissen zurück und atmete durch – „Daher war der Text auch im Präsenz geschrieben“, sagte ich laut, als wollte ich dem leeren Zimmer einen komplizierten Sachverhalt erklären, „obwohl doch die eigentliche Geschichte im Präteritum, oder Perfekt geschrieben war, irgendeiner verschrobenen Vergangenheitsform! Ich hätte das gleich merken müssen, aber ich war in Deutsch nie gut gewesen. Ha!“

Friedrich hatte am Abend zuvor gemeint, er wolle um 6 Uhr aufstehen. „Was?“, fuhr ich ihn an, „Bist du behämmert? Wir haben nur einen Frühstücksgast. Warum sollen wir dann um 6 aufstehen?“
Friedrich grinste tiefgründig, als wollte er mir zu verstehen geben, dass man gar nicht früh genug aufstehen könne, um im Dienste der Pension tätig zu werden. Wir einigten uns auf 6:30 Uhr, aber nur, weil ich zu müde war, um länger zu diskutieren. Daran erinnerte ich mich nun und war sauer auf mich selbst.
Im Zimmer war es eiskalt, trotz zweier Decken und des Heizlüfters, den ich gestern, einige Stunden vor dem Schlafengehen, noch laufen ließ. Als ich mich aus dem Bett gekämpft hatte und meine erlauchten Füße auf den Boden setzte, froren sie augenblicklich fest – naja, fast. Ich begnügte mich mit einer Katzenwäsche, denn Duschen kam nun wirklich nicht in Frage. Ich schlüpfte in meine Schuhe und wankte in die Küche, mehr ein Morgenzombie, als irgendetwas sonst.
„Guten Morgen!“, begrüßte mich das immer glückliche Heinzelmännchen vom Dienst. Friedrich wirkte nicht nur ausgeschlafen, ich fürchte, er war es sogar. Ich überlegte kurz, ihn mit einer Tüte tiefgefrorener Brötchen zu erschlagen und einfach wieder ins Bett zu schlurfen – ich würde mir schon eine Ausrede dafür ausdenken, wenn die Kripo mich danach fragen würde. Der Gedanke erschien verlockend, doch fehlte mir die Energie dafür.

„Ha! Ist das nicht ein schöner Tag? Ich mache dann mal Kaffee für uns“, sprachs und flitzte davon.
„Ich trinke Tee… Friedrich? Ach, egal“.
Die Dame aus Zimmer 6 war bereits wach, hatte gepackt, einen Spaziergang mit ihrem Hund gemacht und angekündigt, nach dem Frühstück abzureisen. Die Kälte sei einfach unerträglich – manche Leute sind nichts mehr gewöhnt, ging es mir durch den Kopf, während ich mit steifgefrorenen Fingern, den Reisverschluss meiner Jacke schließen wollte und kläglich scheiterte. Friedrich kam angeschlendert, unergründlich lächelnd und eine riesige Tasse Kaffee in den Händen.
„Ich habe den Heizlüfter nur vier Stunden laufen lassen. Aber wer auf Rügen arbeitet, muss schließlich was aushalten können!“, sagte ich stolz. Ich brauchte etwas Trost und Anerkennung. Später würde Friedrich dann, ganz nebenbei, der Dame aus Zimmer 6 davon erzählen, wie ich, einem Polarforscher gleich, die Nacht verbracht hatte und grenzenlose Bewunderung und Heldenverehrung, würde mir zuteilwerden.
„Heizlüfter? Ich habe keinen Heizlüfter aufgestellt“, sagte Friedrich glücklich.
„Keinen… warum nicht?“, ich weiß auch nicht, warum ich das eigentlich fragte.
„Ich heize auch zu Hause nie. Solange meine Zahnpasta nicht gefriert ist alles ok. Und ich habe Kaffee“, er hielt die Tasse hoch. „Ich komme klar. Mach dir nicht so viele Gedanken.“
„Hast du mitbekommen“, fügte er nach einem Schluck heißen Bohnengetränks hinzu, „dass die Frau aus Zimmer 6, bereits einen langen Spaziergang gemacht hat? In der Morgenkälte. Man, da kann selbst ich mir eine Scheibe von abschneiden“, er lachte.

Ich guckte erst Friedrich an, dann die Decke, dann wanderte mein Blick, langsam zum Fenster und fiel auf zwei Feldspatzen, die sich auf dem Blumenkasten balgten.
„Ich sollte mich nützlich machen“, murmelte ich resigniert.
Frühstück zu machen ist eigentlich kinderleicht, wenn man es schon so oft getan hat. Aber an dem Morgen fiel es mir unendlich schwer – unausgeschlafen, schlecht gelaunt, hungrig und seit neustem, durch das Wissen, ein totales Weichbrötchen zu, schwer erniedrigt. Zudem fehlte es an Käse und Radieschen. Aber ich gab mein Bestes und die Dame aus Zimmer 6 war zufrieden. Sie kündigte sogar eine mögliche Wiederkehr an, wenn das Heizproblem behoben wäre – bis dahin würde sie in einem Hotel nächtigen, wo eine Nacht so teuer war, wie bei uns der ganze Aufenthalt – aber man könne dort warm duschen. Ich hätte ohne Zögern mit ihr getauscht, sagte das aber nicht. Doch die Vorstellung einer heißen Dusche trieb mir Tränen in die Augen und ich musste mich abwenden.

Etwas später kam noch Zimmer 5 vorbei, zwei Damen, wobei eine die Mutter und die andere die Tochter war, beide eisenharte Rugeshusfans. Solche Gäste baden im Bach, wenn es sein muss und braten selbsterwürgte Wölfe, über morgendlichen Lagerfeuern, wenn uns die Bötchen ausgegangen sein sollten. Bei solchen Titanen erwartet man Sprüche wie „Das ist kein Wahnsinn, das ist Rugeshus!“, oder so. Die 300 Elitesoldaten, die Sparta einst verteidigt haben, waren absolute Clowns dagegen.
Nach einer langen und herzlichen Begrüßung, bei der ich mich nochmal für einen verschwundenen Mantel entschuldigte und dafür, dass das Glühwürmchenfest in diesem Jahr ausgefallen war, packte ich meine sieben Sachen (es waren sogar nur fünf) und Friedrich fuhr mich zum Sagarder Bahnhof, wo ich den nächsten Zug nach Stralsund nahm. Dieses Mal nicht ganz so müde, aber dafür durstig. Ich hatte mir, in weiser Voraussicht, eine Flasche Cola mitgenommen, mit zero Zucker drin. Ich wartete eine Stunde, dann nahm ich sie aus meiner Tasche und stellte mit einer gewissen, routinierten Bestürzung fest, dass sie bereits geöffnet und sämtlicher Kohlensäure beraubt war. Zudem setzte sich eine ältere Frau hinter mich und nieste mir mehrmals in den Rücken. Spätestens jetzt wusste ich, dass das eine lange Fahrt werden würde.

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