Stell dir vor, du stehst am Strand – einem Steinstrand. Es ist Winter. Du bist der Meinung, dass Rügen nun vollkommen still sein müsste – jetzt, wo das große Schlafen begonnen hat. Doch die Wellen schweigen nie, vor allem nicht im Winter. Graugrüne Anzugträger sind es, die murmelnd über die Steine kriechen – oder tobend gegen sie rennen. Der Wind riecht nach dem Horizont, der stählern vor dir liegt, ausgefranst und drohend, schwarz und erstarrt. Und die Seemöwen kreischen ihre Lieder, die vom Sturm erfasst und weit über das Wasser getragen werden. Hinter dir erhebt sich der Buchenwald, wie ein silbernes Korallenriff. Wolkenschiffe verfangen sich in ihnen – grauweißbunte Wracks, die abends Feuer fangen und gischtsprühend, glitzernd und großartig versinken. Siehst du den Wind? Er reißt neckisch die nebligen Segelfetzen ab und verhüllt damit die Sternenbilder.
Was im Sommer noch bunt war, ist nun braun. Was im Sommer noch weich war, hat nun Kanten bekommen, an denen man sich schneiden kann. Die Buschwindröschen schlafen in der Erde und träumen vom weißen Frühlingsmeer.
Der Bach ist nun das einzige Tier, das fröhlich an dir vorbei springt. Er lacht und gluckst, trällert und kichert und singt das Lied, das er von seiner Quelle gelernt hat. Es handelt vom Leben selbst und wurde tief unter der Erde gedichtet. Höre gut zu, dann wirst du es verstehen. Es ist ein kleiner Teil der großen Magie, die man auf Rügen finden kann. Und das ist die Besonderheit am Winter: nimmt man der Welt ihre bunte Verkleidung, kann sie sich nicht mehr verstellen. Dann siehst du sie so, wie sie in Wahrheit ist – kannst hinter die Kulissen spähen und begreifen, wie wunderbar unsere Welt ist. Der Sommer mag traumhaft sein und nimmt dich mit seinen Effekten gefangen. Doch nur wer den Winter erlebt und geliebt hat und wenn es nur eine Sekunde lang war, kann von sich behaupten, Rügens Magie zu verstehen.