Zum Reinbeißen – ein Café auf Rügen (Erzählung)

Ich erzähle euch nun etwas von einem dieser Tage, an denen ich mich vor Berufsfreude in den Arsch beißen wollte. Neulich, da bestellt sich ein Pärchen Würstchen, warme Würstchen mit Brot und Senf. Ich rase, wie ein gewisser Roland, in die Küche und mache mich ans Werk. Da klingelt es erneut und ich stürze wieder nach vorne. Ein weiteres Pärchen ist angekommen, sitzt an Tisch drei. Eine etwas verbissen wirkende Blondine in den Fünfzigern und ein jüngerer Herr, der sehr nett dreingrinst. Sie bestellen sich zwei Stücken Käsekuchen, einen Tee und einen Kaffee. Eine Bestellung kann unter Umständen bereits wie eine Beleidigung ankommen, hier war das der Fall. Kein Bitte – jedenfalls nicht von der Frau und der Mann schien Redeverbot zu haben. Vielleicht war er auch stumm, oder die alte Hexe hatte ihm die Stimmbänder durchtrennt. In diesem Augenblick konnte ich das nicht in Erfahrung bringen. Ich hatte es eilig, die Würstchen warteten meiner mit Sehnsucht. Also zurück in die Küche.

Die in Schweinedarm geräucherten Fleischfinger (ich hasse Wortwiederholungen) wurden erwärmt, Brot kam dazu und Senf – ein Träumchen für hungrige Wanderer. Ich servierte sie, dann kam der Kuchen an die Reihe. Wer wissen möchte, wie unser Käsekuchen aussieht soll mal etwas auf unserer Hauptseite scrollen – er ist allgemein beliebt. Ich möchte nicht prahlen, aber ich tue es dennoch: er ist megageil – so muss ein Käsekuchen sein, saftig, nicht zu süß, ohne Boden. Also Kuchen, Tee und Würste liefern, abwarten, nach draußen schlendern, um zu fragen wie die Dinge stehen und sich auf Begeisterungsstürme gefasst machen – vielleicht eine kleine Rede vorbereiten, nicht großes, nur ein zwei A4-Seiten, man muss ja Bescheidenheit üben. Die Würstchenesser rufen mich, sie wirken vergrätzt.

„Diese Würstchen sollen heiß gewesen sein?“, ranzt mich der Herr in kurzen Hosen, Sonnenbrille und braungebrannten Gesicht an. „Die waren nicht mal warm“, seine Frau nickt so heftig, dass ich Angst verspüre, dass ihr das Gesicht aus den Angeln kippt.

Ich betrachte ihre Teller. „Und sie haben die Würste dennoch aufgegessen?“

„Ja verdammt, wir hatten Hunger!“

„Verstehe. Also in diesem Fall tut es mir sehr Leid, aber aufwärmen kann ich sie nun nicht mehr.“

„Nein, aber ich wollte es ihnen nur gesagt haben. Wer warme Würstchen anbietet und dann sind sie nur lauwarm, der soll sich nicht wundern, wenn die Gäste unzufrieden sind.“
„Aha“, erwidere ich und streiche mein Geld ein, 5,25 Euro, auf den Cent genau, Trinkgeld darf man in einem solchem Fall natürlich geben, das sehe ich ein.
Und da winken mich auch schon die Kuchenesser von Tisch 3 zu sich – welche Freude mag mich wohl nun ereilen? Der Mann gibt sich scheinbar große Mühe, mit der Umgebung zu verschmelzen, die Frau hat ihren Kuchen zur Hälfte verputzt und schaut grimmig drein.

„Ihr Kuchen ist trocken“, sagt sie spitz.

„So“, erwidere ich.

„Ja“, gibt sie gereizt zurück, „Der ist doch garantiert nicht frisch gebacken. Er ist völlig trocken.“

„Stimmt genau, ich habe ihn hinter der Heizung gefunden, hielt ihn zunächst für einen komischen Sommerhut, doch dann habe ich mir gesagt: ‚Benjamin‘, habe ich mir gesagt, ‚zum Wegschmeißen isser zu schade, den serviere ich den beiden Cafégästen.‘ Haha!“

Schweigen, mein Witz kam offenbar nicht gut an. Sarkasmus ist bei den meisten Gästen generell keine gute Strategie. Ich lächle charmant. „Doch“, sage ich dann, „Er ist frisch, wir backen jeden Tag frisch.“

„Er IST ABER TROCKEN.“, erwidert sie trocken.
Eigentlich müsste ich nun kuschen, mich entschuldigen und ihr den Kuchen gratis geben, schließlich ist sie der Gast und der Gast ist König. Aber ich habe die Schnauze voll von diesem ganzen herablassenden Gehabe.
„Das ist Käsekuchen“, gebe ich seriös zurück, als würde ich einem Prof in Bodenkunde ein Substrat erläutern. „Käsekuchen kann gar nicht trocken sein. Er besteht aus Quark, Quark ist nicht trocken. Streuselkuchen kann trocken sein. Sandkuchen kann trocken sein. Wasser kann nicht trocken sein, Wein schon. Haha.“

Der Mann guckt mich gequält aus der Wäsche, er hat sein Stück verputzt und wünscht sich offenbar gerade tot, oder 10.000 Kilometer weit fort zu sein, vielleicht in Guantanamo oder im Rachen eines Krokodils. Seine Frau legt die Kuchengabel beiseite, wie ein Chirurg sein Skalpell. Ich warte darauf, dass sie fragt, ob sie den Kuchen nun bezahlen muss. Ich beschließe ihr in diesem Fall das Geld zu erlassen, aber wenn sie nun erwartet, dass ich ihr diesen Erlass auch noch anbiete, womöglich mit einem Knicks und Segenswünschen, hat sie sich geschnitten. Nein, sie muss mich fragen, dann ist alles paletti.
Die Zeit vergeht quälend langsam, wir sehen uns in die Augen. Die Augen meiner Gegnerin sind wie Dolche, aber meine Genervtheit, die um 17 Uhr bereits eine bedenkliche Intensität erreicht hat, verleiht mir eine innere Stärke, an der ihr Stechen abprallt, wie einstück trockener Käsekuchen an einem Atombunker.
Dann nicke ich dem Mann zu, er bezahlt, lächelt mich an, hofft vielleicht, dass ich mir eine Kuchengabel schnappe und das bevorstehende Kapitalverbrechen auf mich nehme, doch er wird enttäuscht.

Am Ende des Tages zähle ich mein Trinkgeld, lasse alles Gutes und Schlechte Revue passieren, betrachte im Spiegel sinnierend meinen Hintern und mache mich ans Beißen.

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